Tief unten in der Wüste steht ein wilder Kerl. So gar nicht gesellschaftskonform. Die feinen Städter der Jerusalemer Oberschicht mögen die Nase über Johannes den Täufer gerümpft haben. Wer zu ihm geht, muss sich hinabbegeben. Er muss im Wortsinne nach unten. Jerusalem mit seinem Tempel liegt auf einem Berg. Johannes tauft am Jordan. Der Höhenunterschied beträgt rund 1.000 Meter. Jerusalem liegt auf 700 Metern über dem Meeresspiegel. Der Jordan befindet sich in einer tiefen Senke, die etwa 250 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Tiefer kann man auf dem Landweg nicht herabsteigen.
Ob die Autoren des Lukasevangeliums das gewusst haben? Hier, ganz unten, beginnt die Wirkungsgeschichte des Jesus von Nazareth. „Das Reich Gottes wird daher auch nicht von oben kommen; es wird sich von unten erheben, von den Armen, den Kleinen, den Sündern, den Verlorenen her …“ (Albert Nolan, ‚Radikale Freiheit‘)
Dort steht Johannes der Täufer und „Volksscharen“ (Lukas 3) ziehen zu ihm hinaus, um sich taufen zu lassen. Doch was sie finden, ist nicht die Erlösung. Im Gegenteil. Johannes, dieser wüste Kerl in der Wüste, stößt wüste Beschimpfungen aus: „Ihr Schlangenbrut!“ Und sie sollten sich nichts einbilden, dass sie Kinder Abrahams seien. Die Sehnsucht nach Erlösung muss groß gewesen sein, denn statt dem wilden Johannes den Rücken zu kehren, fragen die Menschen weiter.
Wie sollen sie Buße zu tun? Wie geht Umkehr? Und Johannes gibt eine simple Antwort: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso!“
Umzug des Tempels
Die Menschen, die sich da in Scharen zum Täufer in der Wüste aufmachen, sie haben dem Tempel den Rücken gekehrt. Der Tempel zur Zeit des Johannes stand für Macht und Geld. König Herodes hatte den Tempel erweitern und ausbauen lassen. Der Tempel war der zentrale Ort, an dem das Opfer zur Reinigung von den eigenen Sünden zu erbringen war. Aber die Schilderung im Lukasevangelium macht deutlich: Das Vertrauen in die religiösen Institutionen, den Tempel und die Priesterschaft, ist erschüttert. Jesus wird in Lukas 19 sagen: „Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.“
Da muss es mit Blick auf die Situation der Kirchen heute eigentlich klingeln. Geld und Macht der Kirchen sind die zentralen Themen, wenn man mit Menschen außerhalb der geschützten Welt der Kirchlichkeit über die Institution diskutiert.
Johannes stellt die bisherige Praxis auf den Kopf und lässt den Tempel und damit den Ort des Bußopfers umziehen. Nicht mehr im Tempel aus Stein, den die Gläubigen mit ihren Steuern bezahlen, wird das Opfer gebracht. Johannes verortet den Platz für das Sündopfer stattdessen im Nächsten. Und nicht in irgendeinem Nächsten, sondern bei den Armen. Und dieses Opfer, das Johannes den bußwilligen Menschen vorschlägt, ist deutlich spürbar. Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat. Ein Gewand von zwei. Das sind immerhin 50 Prozent. Das Wort Teilen lässt sich bei Johannes dem Täufer nicht auf Almosen schönrechnen.
Grundzug des Abendmahls
Diese Anweisung, Gutes zu teilen und Essen zu teilen, ist die grundlegende Geste des Abendmahls. Der Quasi-Umzug des Tempels und des Opfers in „den Nächsten“ und „die Bedürftigen“ ermöglicht eine ganz andere Sicht auf das Dankopfer und Sündopfer. Bereits im Buch Levitikus (3. Mose) findet sozusagen eine Demokratisierung des Sündopfers statt. Wer wenig oder nichts hat, kann bereits mit einem Zehntel Scheffel Mehl das Sündopfer im Tempel bringen.
Im Klartext: Wer nicht mehr als eine Tüte 405er Mehl aufbringen kann, ist trotzdem im Tempel willkommen. Und das nicht nur für sich selbst. Das Opfer wird vom männlichen Vorstand für das ganze Haus, das heißt die Frau, die unverheirateten Verwandten, die Kinder erbracht.
Auch hier steht der Mangel im Mittelpunkt. Auch hier handelt es sich um ein wirkliches Opfer, denn wer extrem wenig hat, für den ist eine Tüte Mehl wertvoll. Die Autoren des Lukasevangeliums erweitern diese Perspektive, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Lukasevangelium zieht: Gott im Schwächsten, im Kind, im Mangel. Patrick Todjeras verdanke ich den Gedanken, dass das Danken und der Zerbruch (teilen, brechen) elementar dafür sind, dass aus Mangel wieder Fülle werden kann.
Statt auf den Magel zu schauen, ist es an der Zeit, dankbar mit manchem Alten zu brechen, und den Reichtum zu teilen. Und zwar so, dass es weh tut, dass wir es spüren. Ein wirkliches Opfer daraus zu machen. Gott das in die Hände zu legen, was wir in der Kirche als zu wenig erleben und was wir haben an die auszuteilen, die nichts haben. Daraus wird neue Fülle entstehen.
Impulse für die Kirche
Wie wäre es, wenn die leeren Kirchenräume mit denen geteilt würden, die kein Dach haben? Wie wäre es, wenn die immer noch reichlich vorhandenen Mittel genutzt würden, um für die da zu sein, die nichts oder sehr wenig haben? Wären dann die Kirchen noch leer? Und gäbe es dann noch die Suche nach Sinn?
Die Gesellschaft hat sich längst auf den Weg gemacht. Der sinnstiftende Gedanke der Nächstenliebe ist längst auf die säkulare Welt übergesprungen. In Hamburg St. Pauli gibt es die ‚Alimaus‘. In dieser katholischen Institution werden Arme und Einsame, Obdachlose und Hungrige, spärlich Gekleidete und Kranke versorgt. Seit Ende 2018 gibt es auch einen Kältebus, der im Winter nach den Menschen der Straße schaut. In der ‚Alimaus‘ gibt es eine lange Warteliste für Menschen, die dort mitfahren und helfen möchten. Und so ergeht es vielen, auch den säkularen Initiativen in der Stadt, die sich der Hilfe für Obdachlose und Arme einsetzen: Sie bekommen oft unerwartet viel Hilfe (Fülle). Hier wird deutlich: Wer die nimmt, die keiner haben will, wird auch die bekommen, die alle haben wollen.
Von der Kirche des Es zur Kirche des Du
Es gibt in Teilen der Gesellschaft den starken Wunsch, etwas zu geben. Dahinter steckt die Sehnsucht, einen unheilen Zustand zu heilen. Nichts anderes ist Buße oder Bekehrung. Und in diesem Licht gesehen ist die Bekehrung kein religiöser Verblendungsmechanismus für in Angst versetzte Menschen sondern ein heilsamer Prozess, der ein Ziel hat: Wiedergutmachung. Etwas Ungutes wird wieder gut. Die Armen werden satt, die Traurigen getröstet. Darin finden Menschen Sinn. Und zwar alle Beteiligten.
Hinwendung ist das Gegenteil von Abkehr. Die gibt es auch. Es gibt hochreligiöse Gruppen mit Teflonhaut, an denen perlt alles ab. Es gibt auch eine Abkehr aus Angst und aus Gewohnheit. In der Welt der Kirchen geschieht es leicht, dass im Alltag einer Großinstitution die Einzelnen aus dem Blick geraten. Man spricht dann von einer Kirche des Es, die einem ‚höheren Zweck‘ dient. Eine bekehrte Kirche ist aber eine Kirche des Du, bei der jede und jeder willkommen ist.