Gold, Weihrauch und Balthasar – Menschen und Namen

Die Veranstaltung hieß Straßenweihnacht. Eine Woche vor Heiligabend hatte der Verein Straßenblues dazu eingeladen. Und wie wir waren noch viel mehr Menschen davon angezogen. Der Veranstaltungsort, ein Tagesaufenthalt für Wohnungslose, war beinahe bis auf den letzten Platz gefüllt.

Auf mich hatte diese Veranstaltung eine große Anziehungskraft ausgeübt. Ich war sicher, dass dies genau der richtige Weg ist, dass dies zu mir gehört. Dass es mir auf meiner Gottsuche weiterhelfen würde.

Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem  und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.

Wohnungslosen zu helfen, ist derzeit schwer im Trend. Aber man würde den Menschen unrecht tun, wenn man ihnen sagte, das ist falsch. Die Gesellschaft sucht nach Sinn und den findet man eben nicht im Konsum, den findet man bei den Armen. Das hat sich seit Herodes Zeiten noch nicht geändert.

Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. Er ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle.

Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, / bist keineswegs die unbedeutendste / unter den führenden Städten von Juda; / denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, / der Hirt meines Volkes Israel.

Man kann sich natürlich fragen, was das alles soll. Es gibt durchaus Kritik an der Vielzahl von kleinen Initiativen, die plötzlich ungefragt in der Stadt auftauchen. Es gibt eine regelrechte Diskussion innerhalb der Szene der professionellen Wohnungslosenhilfe, wie damit umzugehen sei, wenn der Kältebus einer großen kirchlichen Institution kommt und die Wohnungslosen sind schon satt und haben neue Schlafsäcke. Bis hin zu Stimmen, die sagen, das geht doch nicht – weil es die eigene Existenz infrage stellt. Doch auch Zusammenarbeit wächst daraus hervor.

Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war.

140 Menschen waren dem Ruf von Straßenblues gefolgt. Menschen mit eigener Wohnung und solche ohne. Straßenblues hatte Wünsche von Wohnungslosen gesammelt, die ihnen heute erfüllt werden sollten. Manche waren sehr bescheiden. Tabak zum Zigarettendrehen. Andere wünschten sich einen Rucksack, eine Jacke, einen schönen neuen Schlafsack. Die Künstlerin und ich hatten uns aus der Liste zwei Menschen ausgesucht, denen wir nun eine Bescherung bereiten wollten.

Bevor es richtig losging, mussten alle Teilnehmenden noch eine Weile vor dem Eingang des Tagesaufenthaltes warten. Und so standen wir dort. Wohnungslose und Wohnungshabende. Schüchtern wurden Blicke ausgetauscht. Ist mein Geschenkempfänger der dort? Der mit der Brille?

Das gemeinsame Warten diente dem Zweck, dass die Räume im Innern vorbereitet werden konnten. Ungeplant, aber irgendwie nicht zufällig, führte dies dazu, dass alle gemeinsam in der Kälte standen, was vor allem der inneren Vorbereitung der Wohnungsbesitzer dienlich war. Schwaden von Tabakrauch zogen gelegentlich vorbei. Wir konnten uns während des Wartens ein wenig einfühlen in die Situation, wie es ist, vor dem Tagesaufenthalt zu warten.

Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige.

Die Tür geht auf. Jede und jeder bekommt ein Schild mit dem Vornamen. Alle suchen ihre Plätze, auch dort Platzkarten mit den Vornamen. Aus Namenlosen werden Personen.

Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.

Schenker und Beschenkte sitzen zusammen. Alle sind ein bisschen nervös. Und dann geschieht das Wunder, das immer geschieht, wenn Menschen ihre Scheu und ihre Furcht überwinden. In dem Saal, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an langen Tischen beieinander sitzen, kommen wir alle miteinander ins Gespräch. Einige der Geschenkspender haben ihre Kinder mitgebracht. Manche laufen umher. Ein großes Stimmengewirr hebt an. M., eine der Organisatorinnen, dankt in einer kleinen Rede. Immer wieder sagt sie danke.

Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.

M. erzählt von Bäumen im Wald, die ihre gefallenen Brüder und Schwestern über die Wurzeln noch lange ernähren und sie mit einbinden.

Ich hatte mich das zuvor gefragt, ein bisschen bange, wie das gehen kann, wie man aus zwei scheinbar verschiedenen Welten aufeinander treffen kann – und vor allem, wie geht man wieder auseinander?

Das Aufeinandertreffen ist nicht für alle leicht. Einer unserer zwei Beschenkten hat zwar den Weg zum Veranstaltungsort gefunden, aber er hat sich nicht zu uns gesellt. Er habe gerade wieder eine schlechte Phase. Die Spannung war für ihn zu hoch. Eine Frau vom Jesuscenter wird ihm unser Geschenk geben. Irgendwann taucht er da wohl immer wieder auf. Und vielleicht wird er ja wirklich den Gutschein im Schuhgeschäft gegen ein paar neue Winterstiefel eintauschen. Und tatsächlich erreicht uns einige Wochen später über einen kleinen Umweg sein Dank.

Und dann treffen wir F. Sie ist die zweite Beschenkte, für die wir uns entschieden haben. Wegen ihrer großen psychischen Belastung hatte sie sich einen Wellness-Tag gewünscht. Sie bedankt sich sehr und wir kommen ins Gespräch. F. berichtet von einem Leben voller Gewalt. Der Krieg in Bosnien, sie war 18, als er begann. Später Männer in ihren Beziehungen, die ihr schlimme Sachen angetan haben. Bis sie irgendwann auf dem harten Asphalt der Straße aufschlug.

Heute hat sie wieder ein Dach über dem Kopf. Ein Zimmer. F. macht eine Trauma-Therapie. Mehrmals steckt mir ein Kloß im Hals, als sie erzählt. Die Frau von Mitte 40 zeigt sich in ihrer ganzen Verletzlichkeit. Dieser Offenheit können wir uns nicht entziehen.

Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.

Wie leicht es sei, abzurutschen, wie nah alles beieinander sei, Gutes und Schlechtes. Und dass man nie urteilen dürfe, wenn jemand auf der Straße sitzt. Sie sagt es zweimal. Man darf nicht darüber urteilen.

Wir stehen etwas hilflos und betreten und berührt neben ihr. Versuchen, etwas Gutes zu sagen, zu stärken. Die Künstlerin und F. nehmen sich in die Arme. Wie Freundinnen. Und die Frage, wie wir auseinandergehen, stellt sich nicht mehr. Wir tauschen unsere Handynummern aus.

Auch andere tun das. Natürlich nicht alle. Es gibt andere Szenen. Einer unserer Tischnachbarn hat seinen beiden Damen, die ihn beschenkt haben, auch etwas mitgebracht: eine Packung Ferrero Küsschen. Er kommt aus Osteuropa. Die Verständigung ist mühsam. Irgendwann sitzt er einen Moment alleine und reibt die Armlehnen seines Stuhles, bis er sich seinen Rucksack aufsetzt und geht. Andere Wohnungslose sitzen kaum auf ihren Stühlen, streifen umher.

Doch als wir gehen, haben wir gefühlt mit zehn Menschen gesprochen. Wir haben V. von der Arbeitslosen-Telefonhilfe kennengelernt, A. vom Jesuscenter, M. und ihren Mann N., den Filmemacher, die mit Freunden den Verein Straßenblues gegründet haben. Und F. den Österreicher , der in Hamburg auf der Straße lebt und H., der am Restaurant von Tim Mälzer die Feuertonne bewacht.

Wir gehen auch als Beschenkte. Wir gehen, wie die drei Weisen aus der Weihnachtsgeschichte. Wir gehen verändert. Wir gehen andere Wege. Die Begegnung hat etwas mit uns gemacht. Und sie hat uns neue Kontakte beschert. Der Weg der drei Weisen wird in der Weihnachtsgeschichte nicht weitererzählt. Wie wird unser Weg weitergehen?

V. von der Arbeitslosen-Telefonhilfe hat uns geschrieben, sie möchte uns gerne treffen, ein Getränk teilen, den Kontakt vertiefen. F. hat sich am Silvesterabend gemeldet. Sie habe es nicht früher geschafft. Den Gutschein für das Bäderland will sie mit anderen Frauen teilen, die es auch nötig haben, teilen. Wir wollen uns treffen.

Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

 

Kursiv: Evangelium nach Matthäus (2, 1 – 12, Einheitsübersetzung)

Text und Fotos: Dirk Kähler

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