Tür auf, rein, vielleicht eine Kerze anzünden, oft nur ein paar Schritte durch die Kirche, manchmal laut, oft fragend, suchend, tastend, so sieht es aus, wenn Menschen, die keine Verbindung mehr haben, in einer Kirche etwas suchen.
Auf Norderney sind die Kirchen in der Urlaubszeit echte Anziehungspunkte. Es gibt diese Sehnsucht, dort etwas zu finden. Urlaub ist eine Zeit, in der Menschen sich öffnen können. Davon sind auch Dorle und Micha Schmidt überzeugt. Im Auftrag der katholischen Kirchengemeinde auf der Nordseeinsel Norderney und in enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort haben die Designer vom „Studio Komplementaer“ in Köln die Pfarrkirche St. Ludgerus, die bei den Insulanern eher „kleine Kirche am Denkmal“ heißt, in einen Erlebnisraum umgestaltet.
Behutsam, aber doch deutlich, wurde aus der 2008 umgestalteten Kirche für sechs Wochen der „Ruhepunkt“. Auf den ersten Blick hat sich gar nicht so viel verändert. Der Gemeinde war es wichtig, die Ellipse, die den Innenraum prägt, beizubehalten. Und wer den großen Effekt erwartet, läuft auch erst einmal ins Leere. Aber das Konzept funktioniert. Wo sonst in Zeiten, in denen viele Menschen auf der Insel sind, schon einmal die Stille verloren geht, weil die Kirche eben auch besichtigt wird, herrscht nun eine Art neugieriger Stille – jedenfalls fast immer.
Mit einfachen Angeboten haben es die Macher des „Temporären Erlebnisraumes“ geschafft, viele Besucher auf die Spur zu locken. Besucher, die vielleicht sonst einfach nur mal reingeschaut hätten, setzen sich an eines von zwei Schreibpulten und beginnen, eine der dort angebotenen Karten auszumalen. Von Schiller bis Augustinus reicht die Bandbreite der Texte auf den angebotenen Karten.
„Es gibt eine Sprachlosigkeit, eine Sehnsucht nach Tiefe und Sinn“, sagt Micha Schmidt, der gemeinsam mit seiner Frau Dorle den Ruhepunkt während der gesamten Laufzeit von sechs Wochen begleitet. Viele Menschen würden spüren, dass eine Kirche ein besonderer Ort sei, aber wüssten nichts mit sich anzufangen. Micha Schmidt: „Unsere Frage war: Wie kann man den Menschen etwas an die Hand geben – ihnen Vokabeln geben – für ihre spirituelle Sprachlosigkeit?“
Ruhe und Kirche sind keinesfalls überraschend, aber Ruhe ist ein großes Sehnsuchtsthema dieser Zeit. Darum hatte sich die katholische Gemeinde für dieses Thema entschieden. Es betrifft zudem nicht nur die Urlauber. Im Tourismus-Hotspot Norderney, wo 5.900 Einwohner es jährlich mit über 500.000 Urlaubern zu tun haben, liegt das Thema auf der Hand.
„Es kam aus der Gemeinde, den Kirchenraum aufzunehmen, so wie er ist. Taufbecken, Ambo, Altar, dort werden die klassischen Themen erklärt. Aber es wurden ganz bewusst zwei Stationen geschaffen, die ganz einfach sind, die ohne Vorkenntnisse funktionieren oder ohne kirchlich zu sein“, erklärt Dorle Schmidt das Konzept. Neben der Ausmalstation gibt es zwei Puzzle, davon eines für Kinder, das aber auch von Erwachsenen genutzt wird. Es gibt Meditationskissen und tatsächlich auch eine besonders gestaltete „KOii-Liege“, auf der die Besucher Platz nehmen.
Das Verhalten der Besucher ist sehr unterschiedlich. Manche kommen rein und sind wirklich irritiert, wollen eigentlich eine normale Kirche. Andere kommen mehrmals, manche tagelang. Ein Kind kam mehrere Abende hintereinander und hat sich ans Puzzle gesetzt. Viele kommen und malen. Eine Nonne im Habit betritt den Raum und sagt: „Das ist so toll.“ Manche lugen herein, gehen wieder und kommen mit der ganzen Familie wieder rein. Und immer noch sind Kerzen der Dauerbrenner. Die kleine Norderneyer Pfarrkirche hat vermutlich einen höheren Verbrauch als mancher Dom.
Markus Fuhrmann ist katholischer Diakon und Leiter der Gemeinde auf Norderney, die dem Pfarreiverbund Küste angehört – und er ist begeistert. Nach Gottesdiensten gibt es normalerweise keine bis wenig Reaktionen. Das ist nach der „Stillen Nacht“ und den Abendgebeten, die regelmäßig im Ruhepunkt stattfinden, anders. Die Reaktionen reichen von „ich bin gar nicht katholisch, aber“ bis zu „das war eine der schönsten Stunden meines Lebens“. Ein Ehepaar erzählte, dass es seit 36 Jahren verheiratet sei und noch nie miteinander gepuzzelt habe.
„Fragt man, was hat das mit Kirche zu tun, dass die Leute puzzlen, sage ich, das hat ganz viel damit zu tun“, sagt Markus Fuhrmann, der mit seiner Frau Siri (Dr. Theol.) und vier Kindern im Pfarrhaus wohnt. Es gebe ein großes Bedürfnis nichts machen, nichts vorführen und nichts leisten zu müssen.
Fuhrmann: „Es geht um eine urchristliche Botschaft: Gott liebt mich, ohne dass ich dafür etwas leisten muss. Wir müssen unsere Räume öffnen und schön gestalten. Es ist eine Chance. Und die Leute kriegen hier etwas, das sie im Einkaufszentrum nicht bekommen.“
Text und Fotos: Dirk Kähler